Autonome Kommissioniersysteme bzw. Pick-by-Robot

Aufgrund der zunehmenden Internationalisierung der Märkte und der Zunahme des Wettbewerbsdrucks stehen Unternehmen in der Pflicht, ihre Unternehmensprozesse kontinuierlich zu optimieren, um weiterhin wettbewerbsfähig zu bleiben. Neben den externen Logistikprozessen, welche die Abläufe über den Werksgrenzen hinaus beschreiben, stehen die internen Logistikprozesse besonders im Fokus, da sich diese oft schneller verändern lassen. Hierzu gehören die heutigen Lager- und Kommissionierprozesse, welche besonders in KMU durch einen hohen Anteil an manuellen Prozessen hervorstechen.

Gründe, innovative Kommissioniersysteme zu entwickeln und einzusetzen, sind:

  • umfangreicher manueller Aufwand in heutigen Kommissioniersystemen bei zunehmendem Personalmangel,
  • Einforderung hoher Service-Levels,
  • zunehmender Wettbewerbsdruck,
  • Variantenvielfalt der Produkte,
  • Individualisierung der Kundenwünsche,
  • und daraus resultierende Forderungen nach höherer Flexibilität von Prozessen und Systemen.

Nicht zuletzt schreitet die Automatisierung und Digitalisierung vor- und nachgelagerte Prozesse voran, so dass es immer aufwendiger wird, Systembrüche innerhalb des Materialflusses zu handhaben.

Stand der Technik

Erste Lösungen für den Einsatz von Servicerobotern, die selbstständig kommissionieren bzw. Regale zum Kommissionierer transportieren können, befinden sich in der praktischen Erprobung. Hierzu einige Beispiele:

TORU der Firma Magazino: Pick-by-Robot
Der Kommissionierroboter TORU ist in der Lage, selbstständig quaderförmige Artikel zu kommissionieren. Mithilfe einer autonomen Steuerung kann er selbstständig zum Entnahmeort fahren. Anhand von 2D- und 3D-Kameras lokalisiert er das zu kommissionierende Objekt und identifiziert es mithilfe des Objekt-Barcodes. Kommissionierte Objekte legt er in seinem Rucksackregal ab und begibt sich zum nächsten Entnahmeort. Im Rucksackregal können bis zu 16 Objekte gelagert werden. TORU wird in der Praxis seit dem Jahr 2017 eingesetzt; sein Roll-out erfolgte im Bereich E-Commerce Fulfillment zur vollautomatisierten Kommissionierung von Schuhkartons. Link

Fahrerloses Transportfahrzeug (FTF) L1200S der Firma Grenzebach: Ware zum Mann
Als Lösung für die langen Laufwege innerhalb eines Komissionierlagers wurden diese FTFs entwickelt. Sie sind in der Lage, komplette Regal anzuheben (Nutzlast 1200kg) und zum Kommissionierer zu transportieren. Der Kommissonierer entnimmt die Objekte laut Auftrag aus den Regalen und legt sie in den Auftragsbehälter, welcher sich in unmittelbarer Nähe befindet. Sobald die zu entnehmenden Objekte aus einem Regal entnommen wurden, wird das Regal durch das FTF zurück ins Lager transportiert. Dieses System befindet sich u. a. bei einem deutschen Kontraktlogistiker schon im Einsatz. Link

ConTrax der Firma Bär Automation: Ware zum Mann
Das mobile Palettenhandhabungssystem setzt auf der FTF-Technologie auf und ermöglicht die Materialversorgung von manuellen, halbautomatischen und automatischen Stationen. Link

Autonomer Kommissionierwagen EffiBOT der Firma Effidence: Ware mit dem Mann
Ein autonomer Kommissionierwagen folgt mithilfe von Kameras und Sensoren selbstständig dem Kommissionierer und erspart ihm das Mitziehen des Kommissionierwagens. Der Kommissionierer kann sich rein auf das Picken konzentrieren. Sobald der EffiBOT voll ist, begibt er sich selbstständig zum Abgabeort der Objekte und ein neuer, leerer EffiBOT steht hinter dem Kommissionierer in der Lagergasse bereit. Der EffiBOT ist bereits bei einem großen deutschen KEP-Dienstleister im praktischen Einsatz. Link

Diese Beispiele stellen längst nicht alle in Entwicklung und Erprobung befindlichen Innovationen dar. Sie sollen lediglich verdeutlichen, dass autonome und teilautonome Technologien immer mehr Einsatz in der Praxis finden. Ihr Einsatz ist anwendungsbezogen zu prüfen und zu entscheiden.

Stand der Wissenschaft

Nach heutigem Stand der Wissenschaft erweist sich eine komplett menschenlose Kommissionierung mithilfe von Service-Robotern als schwer umsetzbar.
Probleme bereiten:

  • starker Anwendungsbezug bisheriger Roboter
  • lange Rechenzeiten zum Erkennen von Objekten in Regalen
  • lange Rechenzeiten zum Picken eines Objektes durch den Roboter (im Vergleich zum Menschen)
  • geringe Fortbewegungsgeschwindigkeiten
  • Objekt-Restriktionen (wenn der Roboter greifen soll)
    • Maximalgewicht
    • Beschaffenheit
    • Form
    • Oberfläche
  • Flexibilität: Kann sich ein Roboter genauso schnell an neue Anforderungen anpassen wie der Mensch?

Schneller umsetzbar ist eine Kombination von Mensch und Roboter, wobei sie jeweils Teilaufgaben des Kommissionierprozesses übernehmen. Derartige Mensch-Roboter-Kollaborationen (MRK) finden zunehmend Eingang in Produktions- und Montageprozesse (vgl. Kollaborative Robotik). Übertragen auf den Kommissionierprozess resultiert daraus, die Stärken des Menschen (z .B. schnelles Picken unterschiedlicher Objekte) mit den Stärken eines Roboters (z. B. Transport von Objekten) zu kombinieren, um ein wirtschaftliches Optimum zu erreichen. Bis zu welchem Grad lassen sich heutige Kommissionierprozesse mithilfe von Service-Robotern automatisieren? Ab wann muss der Mensch in den Prozess eingreifen? Hier kommen die jeweiligen unternehmerischen Zielsetzungen und weitere Rahmenbedingungen zum Tragen, so in den nächsten zwei bis drei Jahren unterschiedliche MRK-Kommissionier-Konzepte heranreifen dürften. Im Referenzprojekt ‚ZAFH Intralogistik‘ der Hochschule Reutlingen, der Technischen Hochschule Ulm und der Universität Ulm wird aktuell an derartigen Fragestellungen gearbeitet.

Verfasser
Selcuk Ceylan
Institut für Betriebsorganisation und Logistik
Technische Hochschule Ulm
https://studium.hs-ulm.de/de/org/ibl
http://zafh-intralogistik.de

Sachstand
Februar 2020
Im Herbst 2018 gingen die I.N.Fachbeiräte ‚Wissenschaft‘ und ‚Wirtschaft‘ davon aus, dass für die Entwicklung des ‚Pick by Robot‘-Verfahrens zwar schon viele Forschungsfragen gelöst sind, aber in der Ausreifung der Systeme noch viel Verbesserungsbedarf liege, weshalb erst bis in circa fünf Jahren mit einem breiteren Rollout derartiger Systeme gerechnet wird. In Bezug auf vollständig autonome Kommissioniersysteme wird zusätzlich noch Forschungsbedarf gesehen.