Selbstorganisierende Fördertechnik

Die Vorstellung einer Fabrik 4.0 bzw. smart factory geht vom Bild einer weitgehend bis vollständig automatisierten Produktionsanlage aus, in der sich die Fertigungsprozesse entsprechend interner Parameter (wie z.B. Auslastungsgrad der Maschinen bzw. Roboter) und externer Parameter (wie z.B. gewünschte Produktkonfigurationen der Kunden bis hin zur Losgröße 1) selbständig organisieren. Die Materialfluss- und Fertigungsorganisation stehen dadurch in enger Verbindung zueinander. Die High-Tech-Einheiten sollen kooperieren. Werden intralogistische Prozesse wie im Warehouse 4.0 für sich betrachtet, sind auch hier Verfahren der Selbstoptimierung, -konfiguration und -diagnose erforderlich, welche auf planerischer, steuernder und ausführender Ebene aufeinander abzustimmen sind.
Charakteristika der neuen Organisationsgestaltung sind:

  • Transparente Informationsflüsse – es wird ein virtuelles Bild der realen Welt genutzt und zwischen den einzelnen Akteuren kommuniziert. Dies geschieht insbesondere auf der Basis von Sensordaten, welche die existierenden Informationssysteme erweitern.
  • Vielseitige Datennutzung (Datenauswertung) – die Daten werden entsprechend der jeweiligen Anforderungen ausgewertet, aggregiert und ggf. visualisiert.
  • Autonome Steuerung – Die Zusammenführung von informationellen Komponenten mit mechanischen und elektronischen Teilen (cyber-physische Systeme) erlaubt es, die technischen (Sub-) Systemen zu Entscheidungen zu befähigen (datenbankgestützte Algorithmik; maschinelles Lernen) und sie Aufgaben möglichst autonom erledigen zu lassen.

Selbstorganisierende Fördertechnik bedeutet in diesem Kontext, dass fördertechnische Einheiten bzw. Module wie insbesondere Unstetigförderer (Gabelstapler, FTS, Drohnen usw. mit ihrer hohen Einsatzflexibilität), aber auch Stetigförderer (wie z.B. kleinskalige, verfahrbare Rollen- oder Gurtbahnen)

  • mit den vor- und nachgelagerten technischen Einheiten sowie dem Menschen kommunizieren können (Vernetzung),
  • selbständig an den Platz im Warehouse bzw. in der Fabrik finden, an dem sie bzw. ihr Ladegut aktuell benötigt werden,
  • Waren nicht nur sicher transportieren sondern ggf. auch annehmen und abgeben können,
  • sich ggf. mit gleichartigen Modulen verbinden, um größere Aufträge (Volumen, Masse) zu bewältigen.

Selbstorganisierende Fördertechnik kann als Teilgebiet der kognitiven Logistik betrachtet werden: Die Systemkomponenten verständigen sich direkt, ohne menschliche Beeinflussung, erkennen Probleme und organisieren dafür Lösungen.

Bedeutung und Nutzen selbstorganisierender Fördertechnik für die Intralogistik

Bereits heute lässt sich eine Förderanlage dezentral steuern: Die Module verfügen selbst über eine intelligente Steuerung und werden über leistungsfähige Algorithmen miteinander verbunden. Dadurch, dass die fördertechnischen Module über ein einheitliches Informationssystem miteinander verbunden sind, haben sie jederzeit Zugriff auf sämtliche Daten des Wertschöpfungsprozesses. So können sie zum Beispiel ihren Bedarf planen, Transportwege optimieren und Leerfahrten reduzieren. Als Ergebnis dieser horizontalen Integration erhöhten sich Effizienz und Flexibilität enorm. Die Waren können für die Kunden bedarfsgerecht, Just-in-Time und individuell bereitgestellt werden.

Die Fördermodule erlauben dank ihrer mechanischen und steuerungstechnischen Schnittstellen eine sehr leichte und flexible Neu-Anordnung und damit eine schnelle Anpassung an ein dynamisches Fabriklayout (Austauschbarkeit, Erweiterbarkeit). Der Zeit- und Kostenaufwand für Topologieänderungen bzw. die Inbetriebnahmezeit reduzieren sich drastisch.

Sie können zudem für Umgebungen realisiert werden, die für den Menschen unangenehmen oder gefährlich sind.

Die Entwicklung derartiger selbstorganisierender Fördermodule weist gegenwärtig eine große Dynamik auf: Je nach Einsatzszenario werden unterschiedliche Baugrößen, die flexible Förderung in unterschiedliche Richtungen und weitere Eigenschaften favorisiert, woraus auch die Weiter- bzw. Neuentwicklung wichtiger Komponenten resultiert (z.B. bei der Antriebs- und Übergabetechnik).

Für ihre Industrie 4.0-Tauglichkeit müssen weitere Aspekte berücksichtigt werden. Dazu zählen aus innerbetrieblicher Sicht z.B. die Betriebs- und Arbeitsplatzsicherheit sowie neue Formen der Arbeitsorganisation (in Echtzeitsteuerung). Es müssen technische Standards und Normen für die Kommunikation zwischen Mensch und Maschine bzw. Maschine und Maschine vereinbart werden.

Sobald räumlich verteilte Produktions- bzw. Logistikkapazitäten miteinander verbunden bzw. die Betriebseinheit(en) in die Supply Chain eingebunden werden, ergeben sich weitere Herausforderungen in Bezug auf die Daten- und Angriffssicherheit. Diese Thematik betrifft jedoch weniger die selbstorganisierende Fördertechnik als solche, sondern mehr die Produktions- bzw. Logistiknetzwerke als Ganzes.

Umgekehrt gilt: Ohne selbstorganisierende Fördertechnik ist ein ‚Internet der Dinge‘ kaum denkbar: Denn dies intendiert, dass Produktionsressourcen autonom, wissensbasiert und sensorgestützt funktionieren, um sich situativ selbst zu steuern, zu konfigurieren und sich an eine Veränderung der Randbedingungen anzupassen.

Vorreiter flexlog GmbH

Die Unternehmen flexlog und Gebhardt Fördertechnik haben erste derartige Fördermodule bzw. -modulbaukästen entwickelt und marktverfügbar gemacht, wofür sie mit dem VDI-Innovationspreis Logistik 2014 ausgezeichnet wurden.

Die flexlog GmbH setzt dabei auf der Ebene der Steuerungskonzepte an. Besonderheiten der Technologie liegen darin, dass Layoutanpassungen der Fördertechnik Innerhalb von Minuten durchgeführt werden können: Bauteile lassen sich einfach austauschen und per Plug&Play in das System integrieren. Das Konzept einer flexiblen Fördertechnik ist denkbar einfach: Einzelne Fördermodule werden wie in einem Baukastensystem per Plug&Play zusammengesteckt und miteinander verbunden. Nach Anschluss an das Stromnetz sind die Module sofort einsatzbereit. Ab diesem Moment wird der Materialfluss vollständig von einer dezentralen Logik geregelt. Der Aufbau einer Förderstrecke wird somit kinderleicht.

Beispiel ‚flexbox‘: Die Profinet und EtherNet/IP fähigen flexboxen bilden eine Bandbreite ab – vom einfachen I/O Modul bis hin zur Plug&Play fähigen, dezentralen Steuerung und dezentralem Materialflussrechner (MFR) für komplexeste Fördersysteme. Die unterschiedlichen Steuerungsmodule können auch kombiniert werden, sodass die Steuerung einer Förderanlage genau den jeweiligen individuellen Anforderungen gerecht wird. Die intelligenteste der ‚flexboxen‘ ist mehr als nur ein Steuerungsmodul: Es beinhaltet einen integrierten dezentralen MFR, welcher komplett die konventionelle SPS und den MFR ersetzt.

Verfasser
flexlog GmbH
https://www.flexlog.de

Sachstand
Februar 2020
Im Herbst 2018 setzten die I.N.Fachbeiräte ‚Wissenschaft‘ und ‚Wirtschaft‘ große Hoffnungen auf die selbstorganisierende Fördertechnik, auch wenn deren breitere Marktdurchdringung noch drei bis fünf Jahre auf sich warten lassen dürfte.